Chronos und Kairo
Mit chronos wird im Griechischen der Zeitablauf (kala) bezeichnet. Er wird identifiziert mit Chronos, einem unbarmherzigen Tyrann.
Er ist der Sohn von Uranos und Gaia – den beiden Urprinzipien dieser Welt (purusa und prakriti). Aus ihm gehen alle Götter hervor. Doch nachdem er sie geschaffen hatte, fürchtete er, dass sie ihn bezwingen könnten und deshalb isst er sie alle auf.
Die irrationale Furcht zerstört sogar das, was einem an Kreativität entspringt.
Doch Zeus entkam seinem alles verschlingenden Vater und bezwang ihn.
Die Zeit verschlingt ihre Kinder. Wenn man in der Zeit lebt, dann lebt die Angst vor der Zukunft und vor seinem bevorstehenden grausamen Ende. Die ewige Vergänglichkeit, die Veränderlichkeit in jedem Moment, ist das Grundgesetz dieser Welt.
Zeus bezwingt die Zeit. Er versinnbildlicht die Möglichkeit und Einladung der menschlichen Lebensform.
Im Griff des Tyrannen kann man seine Zeit nicht wirklich nutzen, denn im konstanten Druck und in der Angst entsteht keine Fruchtbarkeit, keine Entfaltung. Das deutsche Wort „Hetze“ ist ethymologisch abgeleitet von „Hass“.
Da Chronos seine Kinder verschlingt, ist das Vergehen unvermeidlich, wenn man sich als ein Produkt der Zeit versteht.
Zeus erkennt seine eigene Ewigkeit- das ist die Überwindung der Zeit.
Die andere Zeitqualität ist „kairo“, der erfüllte Augenblick, der Eintritt in die Ewigkeit.
Bei den Römern heisst sie „occasio“, die Gelegenheit.
kim pramattasya bahubhih
parokshair hayanair iha
varam muhurtam viditam
ghathate shreyase yatah
"Welchen Wert hat ein langes Leben, das verschwendet wird, weil man aus den vielen Jahren in dieser Welt keine Verwirklichungen mitnimmt. Besser ist nur ein Augenblick bei vollem Bewusstsein, denn er gibt den Anstoss dafür, nach dem höchsten Eigeninteresse zu forschen." (SB 2.1.12)
Die „Horen“ (die Stunden) sind dann göttliche Wesen, Boten aus einer anderen Welt, die einen erinnern, dass jeder Moment Krishna gehört. Dann steht die Zeit still, es ist die reine Gegenwwart, in welcher die Ewigkeit in die Zeit hineinbricht.
Die Achtsamkeit des Momentes ist der ruhende Punkt in einer kreisenden Welt, denn darin schneidet sich Zeitloses mit der Zeit.
Die Zeit, die einem die Zeit bereits genommen hat und auch die, die sie einem noch geben will, gehört einem nicht - sie ist geschenkt.
Aber der Augenblick gehört einem, und darin wohnt die Möglichkeit der Wandlung in Ewigkeit. Der Zuwendung zu Krishna hin.
Da kann die Seele wieder im Zeitlosen leben, in einem Moment, der einem alles
verstehen und nichts vermissen lässt.