Dankbarkeit

Oberflächlich gesehen ist das Danken nur eine blosse soziale Konvention. In einigen Gesellschaften bedeutet das Ausbleiben von Dankesworten nicht etwa einen Mangel an Dankbarkeit, sondern vielmehr eine tiefere Bewusstheit des gegenseitigen Zusammengehörens. Dann wäre ein Ausdruck wie „ich danke dir“ ebenso unangebracht wie das Verteilen von Trinkgeldern an Familienmitgliedern. Echtes Danken kommt aus dem Herzen. Aus vollem Herzen zu danken bedarf des ganzen Menschen. Der Intellekt erkennt das Geschenk als Geschenk. Der Wille anerkennt die gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Gebenden und Dankendem. Und die Emotionen lassen die Freude am beidseitigen Zugehören hochleben. Nur wenn Intellekt, Wille und Emotionen sich verbinden, wird das Danken ein Danken des Herzens.

Das Universum ist gratis. Es kann und braucht nicht verdient zu werden. Dieser einfachen Erfahrungstatsache entspringt dankbares Leben, ein Leben aus Gnade. Dankbarkeit ist die uneingeschränkte Antwort des Herzens auf eine uns gnädig geschenkte Welt. Denn wir haben sie weder gemacht  und wahrscheinlich noch nicht einmal voll akzeptiert. Dankbarkeit ist Begabung im doppelten Sinn: Durch sie wird und die Welt, mit der wir begabt sind, erst richtig zur Gabe. Und unsere Dankbarkeit macht uns begabt, anmutig und freudig, leicht am Tanz des Lebens teilzunehmen. 

Immer wieder wird von der gegebenen Wirklichkeit gesprochen, von gegebenen Tatsachen. Die angemessene Reaktion auf eine gegebene Welt ist Dankbarkeit. Daraus entsteht eine Freude, mit dem Geber vertrauensvoll in Verbindung zu sein und seine Zuverlässigkeit als wichtiger zu erachten als die eigene Verbissenheit im Lebenskampf. 

Warum ist es so schwierig, ein Geschenk als Geschenk anzuerkennen? Weil man darin zugibt, vom Geber abhängig zu sein. Das mag sich nicht sonderlich schwierig anhören, aber es gibt etwas in uns, das sich bei der Vorstellung von Abhängigkeit stäubt. 

Ein Geschenk aber ist etwas, was man sich nicht selber beschaffen kann – zumindest als Geschenk. Man vermag vielleicht genau das Gleiche oder noch etwas besseres kaufen, aber es wird kein Geschenk daraus, wenn man es sich selber besorgt. 

Die Dankbarkeit geht immer über sich selbst und das Kreisen um das kleine Greifen hinaus. 

 

Was auf unserem Weg zu innerer Erfüllung zählt, ist die Erinnerung an die grosse Wahrheit, die uns Momente der Überraschung lehren wollen: alles ist unentgeltlich, alles ist Geschenk. Der Grad, in dem wir zu dieser Wahrheit aufgewacht sind, ist das Mass unserer Dankbarkeit. Sind wir nicht taub und tot für alles, was wir als selbstverständlich erachten? Dinge selbstverständlich zu sehen bedeutet, geistige Trägheit, die Betäubung des Intellekts. Egal wie taub und intellektuell verfangen wir sind – Überraschungen sind immer nahe. Selbst wenn in unserem Leben das Ausserordentliche selten geworden ist, so kann auch das Normale uns immer wieder aufs Neue überraschen. 

Ein Regenbogen und der neue Schnee überraschen. Man kann lernen, den Sinn für die Überraschung nicht nur durch das Aussergewöhnliche anklingen zu lassen, sondern vor allem durch den frischen Blick für das ganz Alltägliche. Die Überraschung des Unerwarteten vergeht, aber die Überraschung über jene Frische vergeht niemals. Dann wird die Dankbarkeit beständig.


Ganz gleich wie fest eine Glocke angeschlagen wird – sie erklingt. Wofür ist sie sonst gemacht? Auch in schweren Schicksalsschlägen bleibt sich das dankbare Herz treu. Das menschliche Herz wurde zum allumfassenden Lobpreisen geschaffen – und dies kann es tun, unabhängig von den Umständen, in denen es sich gerade befindet. Sobald wir auswählen und zurückweisen und unser Lob von unserer Billigung und unserem Verstehen abhängig machen, kommt die Antwort nur aus halbem Herzen. Krishnas Wirklichkeit verdient immer unser ganzes Lob. Mit klarem Herzen erkennt das Herz den Sinn von allem – Segen – und mit klarem Entschluss antwortet das Herz mit dem letztendlichen Lebenszweck: zu danken.