Das Lied der Pingala

 

 

Als sich Krishna und Uddhava in einem stillen Wäldchen treffen, wissend, dass dies die letzte Begegnung der beiden sein wird, beginnt ihm Krishna transzendentales Wissen zu offenbaren: 

 

Diese materielle Welt gleicht den Wellen eines immerfliessenden Flusses. 

Welcher Umstand ist nun ein Nachteil und welche Welle eine Gunst, oder ein Vorteil, aus dem man gefallen ziehen könnte? Welcher Ort könnte man als vergnüglich und welchen als unerträglich bezeichnen? Was ist Glück und was wird als Leiden wahrgenommen?

Da die Umstände endlos an uns vorbeifliessen, hat keinen dieser Zustand wirklichen Bestand. 

(Srimad Bhagavatam 6.17.19)

 

Die gesamte Ausgestaltetheit des materiellen Universums, welches vor einem ausgebreitet ist und das mit dem Geist und den Sinnen wahrgenommen wird, ist eine illusorische Kreation, die durch Krishnas Einfluss als wirklich empfunden wird. 

Man soll alle Phänomene als hindurchziehende Umstände verstehen, die Krishna der Seele offeriert. Wenn sie sich auf diese fixiert, nimmt man die Grundlage, die alles durchdringt auf welcher alles geschieht – Krishnas liebliche Absicht und wunderschöne Gestalt - nicht mehr wahr. 

(Srimad Bhagavatam 11.7.7)

 

 

Wenn das eigene Bewusstsein von Krishnas Illusion (welche erst aktiviert wird durch die eigene Entscheidung zur Gleichgültigkeit seinen Namen, Eigenschaften, Schönheit und lila gegenüber) verzerrt wird, projiziert man vielerlei unterschiedliche Bedeutung und Wert in materielle Objekte und Zustände hinein. 

Auf diese Weise ist das Bewusstsein ständig in Bewertungen absorbiert, dass dieses gut und angenehm sei und anderes unangenehm und verwerfenswert. Die Wachheit der Seele wird dadurch komplett eingeschläfert. 

(Srimad Bhagavatam 11.7.8)

 

 

Uddhava verneigt sich vor Krishna. Die Uddhava Gita im elften Canto des Bhagavatam beginnt dann mit der wundervollen Frage: 

 

 

«Mein lieber Herr, o Höchste Seele, für diejenigen, deren Geist an Ich-Befriedigung gebunden ist, und besonders für diejenigen, die der Hingabe an Dich beraubt sind, ist ein solcher Verzicht, auf die Bewegungen der äusseren Welt zu schauen und von da her Orientierung zu nehmen, äusserst schwierig.  Das ist meine Meinung.» (11.7.15)

 

Es ist immer schön, wenn so erhabene Seelen auch Solidarität mit uns hier leben, für die der innere Weg ja wirklich nicht immer einfach ist. 

 

Oh mein Herr, ich selbst bin wirklich stumpf, weil mein Bewusstsein mit dem materiellen Körper und den körperlichen Beziehungen verschmolzen ist, die alle von Deiner illusorischen Energie erzeugt werden. So denke ich: "Ich bin dieser Körper, und alle diese Verwandten sind mein." Deshalb, mein Herr, bitte unterweise Deinen armen Diener. Bitte sage mir, wie ich Deine Anweisungen sehr leicht ausführen kann.

(11.7.16)

Es geht so schnell, dass wir Seelen hier den Körper und die Umstände um diesen Körper herum als effektive Wahrheit, als das höchst zu Erhaltende und somit zu Verteidigende halten. 

(11.7.17)

 

Oh Herr, ich fühle mich des materiellen Lebens überdrüssig und von dieser Engheit gequält und ergebe mich nun Dir, weil Du der vollkommene Meister bist. Du bist die unbegrenzte, allwissende Höchste Persönlichkeit Gottes, deren spiritueller Aufenthaltsort in Vaikuntha frei von allen Störungen ist. In der Tat bist Du als Narayan bekannt, der wahre Freund aller Lebewesen.

(11.7.18). 

 

Uddhava fragte also: «Wie kann ich mich als ewige Seele also getrennt von allen Umständen und Identifikation-Saugnäpfen erkennen?» Dies 

Allein diese Frage in Aufrichtigkeit zu stellen bedeutet, dass sich die Seele in einem Erwachungsprozess befindet.

 

 

Krishna antwortet, dass exakt diese Frage einst von einem König zu einem Avadhuta, einen Heiligen, der im Wald lag, gestellt wurde. Dieser hatte die Erkenntnis der Unberührtheit der Seele von Wandlungs-Umständen auf seinen Wanderungen durch die Welt von 26 Gurus erlernen dürfen. Einer dieser Unterweisenden ist Pingala, von der Krishna nun berichtet:

 

Der Avadhuta sprach zu König Yadu:

«In der Stadt Videha lebte einst eine Prostituierte namens Piṅgalā. Bitte höre nun, was ich von ihr gelernt habe.

In der Hoffnung auf einen Freier stand sie eines Nachts aufreizend vor ihrer Tür. Weil sie sehr begierig war, Geld zu erhalten, betrachtete sie alle vorbeigehenden Männer als mögliche Kunden und dachte sich: „Oh, bestimmt ist dieser wohlhabend und könnte mir viel Geld einbringen... Schade, er ist vorbeigegangen. Sicher wird ein noch Grosszügigerer kommen und wird mich bezahlen.“ So konnte sie nicht schlafen, und voller Hoffnung wartete sie bis tief in die Nacht, manchmal draussen und manchmal im Haus.» (11.8.22-26) 

Das ist der normale Zustand, wie die endlosen Ketten unerfüllter Wünsche agieren. 

Mit der Zeit wurde Pingala, die sich so sehr nach Reichtum sehnte, immer mehr enttäuscht, und ihr Gesicht verwelkte. Mit zerschlagenen Hoffnungen und angewidert von ihrer Lage, tauchte in ihr plötzlich eine gewisse Loslösung auf. (nirveda bedeutet eine heilige Interesselosigkeit, eine Apathie, nachdem man sich selber genau beobachtet hatte.) Aus einer solchen entspringt immer eine innere Zufriedenheit. Ohne diese Zufriedenheit vermag man spirituelles Wissen nicht aufnehmen und wird immer stärker an Körper und Besitz verhaftet. 

 

Bitte höre von mir nun ihr Lied. “ (27-29) 

Die Prostituierte Piṅgalā sang: „Oh, wie verwirrt ich aufgrund unkontrollierter Gedanken bin! Ich Narr habe mir asat, das Unwirkliche (Vergängliche) gewünscht, und das Dienen an Menschen voller Gier hat mir nur Enttäuschung, Leid, Angst, Sorgen, Klagen und Illusion eingebracht. 

Wenn das Bewusstsein eingenommen ist von solchen Emotionen, vernachlässigt man die einem nächst seiende und liebste Person, den Herrn des Universums, den wahren Geliebten und die ewige Quelle aller Freude, gänzlich. (30-31) 

Wie habe ich dadurch sinnlos mein Selbst gemartert, indem ich mich hergegeben habe, gierigen Menschen zu dienen, die eigentlich bemitleidenswert sind. Ich tat dies, weil ich ausserhalb von IHM Kontrolle (Geld) und Liebe suchte. (32)

 

Dieser Körper ist ein Gebäude aus Rückgrat, Rippen, Armen, Beinen, bedeckt mit Haut, Haaren und Nägeln und angefüllt mit Kot und Urin, und seine neun Tore sondern ständig übel riechende Substanzen ab. Wer ausser mir ist so töricht, sich darin einzurichten und dies meine Heimat zu nennen (dass man in dieser Vorrichtung Vergnügen und Liebe finden könnte ? (33)

 

Wer ausser mir könnte in dieser Stadt Videha so töricht sein?

Ich vernachlässigte die Höchste Persönlichkeit der Gottheit, die uns alles schenken möchte, sogar unsere ursprüngliche spirituelle Form, und stattdessen wollte ich die Aufgehobenheit und Befriedigung durch vielen Menschen geniessen. (34) 

 

Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist für alle Lebewesen das absolut Liebste, denn Er ist der Wohltäter und Herr eines jeden. Er ist als Überseele in jedem Herzen präsent und auf uns wartend.

Deshalb werde ich jetzt den Preis der völligen Hingabe zahlen (gänzliche Bereitschaft dafür aufbringen) und so den Herrn erlangen, um mit Ihm im Austausch zu stehen wie es auch seine ewige Gefährtin Lakshmidevi hat (ich möchte so dienen, wie es die ewigen Bewohner der spirituellen Welt tun – das ist das Erwachen von Raganuga Bhakti). (35) 

 

Ehepartner mögen zwar unsere Sinne befriedigen, aber sie alle, selbst die grossen Devas der Lichtwelten werden uns mit der Zeit wieder genommen.  Sie sind alle vorübergehende Schöpfungen, die von der Zeit fortgerissen werden. Was ist also der Wert ihrer sogenannten Liebe? Und wie könnten diese vergänglichen Geschöpfe tatsächliches Vergnügen oder Glück schenken? (36) 

Obwohl ich mit grosser Hartnäckigkeit hoffte, die materielle Welt zu geniessen, hat sich in meinem Herzen eine gewisse Losgelöstheit eingestellt, die mich sehr glücklich macht. Jetzt fühle ich mich frei und zufrieden. Deshalb muss die Höchste Persönlichkeit Gottes, Vishnu, mit mir zufrieden sein. Ohne es überhaupt zu wissen, muss ich irgendeine Aktivität ausgeführt haben die Ihn erfreute. (37)

 

Ein Mensch, der Leid erfährt, wird allmählich losgelöst 

gegenüber der materiellen Welt. So erwachte aufgrund meiner grossen Verzweiflung eine solche Losgelöstheit in meinem Herzen. Wie hätte ich solch barmherziges Leiden ertragen können, wenn ich nicht vom Glück begünstigt wäre?

Deshalb bin ich in Wirklichkeit glücklich und habe

die Barmherzigkeit des Herrn erhalten. Er muss irgendwie mit mir zufrieden sein. (38)

 

Mit Hingabe nehme ich die grosse Einladung an, die der Herr mir geschenkt hat. Ich gebe meine vergangenen Gewohnheiten auf und nehme ich gänzlich Zuflucht bei Ihm, der Höchsten Persönlichkeit Gottes. (39)

Ich bin nun vollkommen zufrieden, und ich habe volles Vertrauen in die Barmherzigkeit des Herrn. Deshalb werde ich mich mit allem begnügen, was von selbst kommt. Ich werde das Leben nur mit dem Herrn zusammen verbringen, denn Er ist die wahre Quelle der Liebe und des Glücks. (40)

 

Die Wahrnehmungsfähigkeit des Lebewesens wird weggestohlen durch den Akt, Sinnesbefriedigung zum eigentlichen Ziel des Lebens zu machen. So fällt es in den dunklen Brunnen der materiellen Existenz. Innerhalb dieses Brunnens wird es dann von der tödlichen Schlange der Zeit verschlungen. Wer sonst als die Höchste Persönlichkeit Gottes könnte das arme Lebewesen Lebewesen aus einem solch hoffnungslosen Zustand erheben? (41)

Wenn das Lebewesen sieht, dass das gesamte Universum von der Schlange der Zeit ergriffen wurde (die Vergänglichkeit wirklich umarmt hatte), wird es nüchtern und vernünftig und löst sich zu diesem Zeitpunkt von aller materiellen Befriedigungen. In diesem Zustand ist das Lebewesen qualifiziert, sein eigener Beschützer zu sein (es wird sein eigener Guru). (42)

Der Avadhuta fuhr fort: „So beschloss Piṅgalā, die falschen Hoffnungen auf Liebhaber und egoistischen Genuss aufzugeben, und beruhigt legte sie sich hin (sie verankerte sich in tiefem Frieden).  (43)

 

Materielles Verlangen ist zweifellos die Ursache für das Leiden, und die Freiheit von solchem Verlangen (Hoffnungslosigkeit bezüglich der Vergänglichen) ist die Ursache grössten Glücks. 

So schnitt sie diesen subtilen Wunsch, begehrt zu werden (die tiefste Schicht der Gottesimitation) von sich weg. In grosser Seligkeit schlief sie ein. (44)