Prakrustes-Bett
Prokrustes, ein Riese der griechischen Mythologie, bot Reisenden zuerst ein Bett, eine Ruhestätte, an. Wenn sie zu gross für das Bett waren, hackte er ihnen die Füsse bzw. überschüssigen Gliedmassen ab; waren sie zu klein, hämmerte und reckte er ihnen die Glieder auseinander, indem er sie auf einem Amboss streckte.
Als Prokrustesbett bezeichnet man redensartlich eine Form oder ein Schema, wohinein etwas gezwungen wird, das dort eigentlich nicht hineinpasst. In beiden Fällen geht der Mensch zugrunde, wenn er in äussere Schablonen, auch diejenigen, die von religiösen Traditionen angeboten werden, hineinpassen soll. Wenn man andere Menschen beäugt, ob ihr Leben den äusseren Normen entspricht, und das Augenmerk auf diese Kontroll-Instanz legt, tötet man sie.
Wer nicht immer wieder introspektiv in sich hineinhorcht, und nicht mehr nach der Spur, die Krishna in unser Herz hineingelegt hat, fleht, folgt sonst schnell den Vorstellungen des eigenen Ehrgeizes oder Bildern, die andere von aussen auf einen überstülpen. Religion darf nie zu solchem Nachfolgertum degradieren.
Die heilige Tradition will nicht intojektiv, also von aussen her bestimmte Formen geben, denen man dann zu entsprechen hat, sondern nur unterstützend wirken, die ureigenste innerste Spur diese Seele wieder zu finden. Sie weckt nur ganz fein das innerste Gewissen. Es gibt dann mannigfaltige Möglichkeiten, dies konkret in der Aussenwelt zu leben.
Es ist meiner Ansicht nach unumgänglich wesentlich, auf dem spirituellen Weg auch dessen ungesunde Ausprägung zu betrachten. Diese mag fromm wirken, kann aber schnell in geistlosen Formalismus verkommen, wenn eben die Übereinstimmung auf äussere Form und theologische Formeln stark betont wird. Wenn der religiöse Ausdruck in dieser Welt nicht mehr durch ein inneres Erleben, also durch eine Erfahrung, gedeckt wird, und dienend auf diese hinweist, verkommt er zu einem Götzen, der sich selbst als Selbstweck erhoben hat.
Man kann einer äusseren Form endlos zu entsprechen versuchen, doch dient das verbissene Festhalten an der Tradition, der Konfession, am religiösen Ausdruck dann nicht dem inneren Wachstum, sondern nur noch, um sich gegen eigene Ängste abzusichern und sich als besonders darzustellen. So gelebte Spiritualität führt nicht mehr in die Weite und in die Lebendigkeit, sondern in eine enge Ängstlichkeit.