Meine Religion und die anderen
1. Ausschliesslichkeit (Exklusivismus)
-Exklusivismus bedeutet, nur die eigene Religion als vollkommen wahr zu betrachten. Alles, was dieser Wahrheit widerspricht oder nicht bis ins Detail deckungsgleich ist, kann dann höchstens noch fragmentarisch wahr sein.
-Man betrachtet die eine Wahrheit als vedisch, christlich, islamisch etc… Und wenn eine religiöse Wahrheit wirklich ist, dann ist es bereits christlich, islamisch etc…Man verwechselt religio (den Pfad der Wiederverbindung) und confessio (das momentane Bekenntnis).
Dies ist ein Prozess, der ganz schnell auch unbewusst geschehen kann.
-Daraus resultiert ein religiöser Stolz, einen Hochmut, auf der Seite Gottes, auf der Seite der Wahrheit zu stehen. Und mit diesem Überlegenheitsgefühl verbunden auch ganz schnell eine Geringerschätzung, eine Bemitleidung, eine Intoleranz, bis hin zu einer Verachtung Andersgläubiger. Es besteht einen Anspruch, zu den Besseren, den Heldenhaften, den Auserwählten, den Heiligen und Besonderen zu gehören.
-Die Ausschliesslichkeit kann nur durch Abgrenzung aufrecht erhalten werden. Begegnung ist höchstens zwecks Mission und nicht als Bereicherung. Isolation ist eine Strategie, um die eigenen Ansichten aufrecht erhalten zu können.
-Man will eine klare Wahrheitsvorstellung haben, in der alles zu erklären ist. Da ist die Auslegung der eigenen Tradition die einzige, auf der man sein Weltbild stützt.
-Man beruft sich auf eine göttliche Instanz, um seine religiöse Grundhaltung der Unsicherheit, die sich im Festhalten äussert, zu legitimieren (Gott sagt selber, dass es der einzige Weg, die einzige Wahrheit sei, dass er der Einzige sei).
-Da ist die Gefahr auch gross, dass man den Ursprungsort der Tradition ehrt und die Kultur oft partiell (oder manchmal sogar eins zu eins) kopiert. Dann gibt es Vermischung zwischen Folklore und theologischem Inhalt. Da die Grenze der beiden nicht genau betrachtet und analysiert wird, bleibt sie sehr verschwommen. Das ergibt ein ethnozentrisches Weltbild. Das ist eine Entfernung von der Transzendenz Gottes.
-Der spirituelle Ansatz ist meist idealisiert und nicht sehr fundiert. Man sucht mehr die Sicherheit als die Wahrheit.
-In der bewusst gewählten Beschränkung wird oft die komplexe Wirklichkeit sehr vereinfacht. Und darin werden die folgenden Fragen nicht mehr tief und reflektiert behandelt.
Wie versteht man die Offenbarung Gottes? Ist meine Auslegung die einzig Richtige? Könnte es nicht sein, dass die göttliche Offenbarung relative, das heisst menschliche Züge hat?
Epistemologisch ist diese Einstellung naiv und unkritisch. De jure wird ein solches Weltbild wahrscheinlich nur noch selten präsentiert, gelehrt oder verteidigt. Aber de facto wird es noch von vielen Anhängern so verstanden und gelebt.
2. Einschliesslichkeit (Inklusivismus)
-Alle anderen werden durch meine eigene Tradition verstanden. Alle anderen haben Platz in meiner Religion. Wie ein Schirm kann man verschiedene religiöse Ansätze in der eigenen Tradition versammeln.
Das ist ein Zeit-Trend.
Ein Beispiel anhand des Vedanta: Der Höhepunkt ist die vedische Offenbarung. Darin kann man allen echten Wahrheits-Ansätzen der menschlichen Geschichte im vedischen Rahmen ihren Platz zuweisen (vedo-zentrisch).
-Der Ansatz des Inklusivismus ist weltoffen und scheut Begegnung nicht.
-Positive Werte werden auch ausserhalb der eigenen Überlieferung entdeckt und wertgeschätzt – meist mit dem Hinweis, dass dieser Ansatz in reiferer Form in der eigenen Tradition existiere.
-Darin besteht ein gewisser Hochmut: Man besitzt das Privileg einer alles umfassenden Weltsicht, in welcher Platz ist für die Konzeptionen der anderen Konfessionen.
Das führt schnell zur Scheintoleranz (eigentlich setzt man seine religiöse Überzeugung als die Vollendung, da sie alle anderen erklären und in sich integrieren könne)
-Tendenz zu Synkretismus
-Tendenz zu Ekklektrizismus
3. Nebeneinander (Pluralismus)
-Alle gehen nebeneinander auf das gleiche Ziel zu
-Der religiöse Anspruch der Anderen wird weder negiert noch integriert.
-Religionen sind verschiedene Wege, die sich erst im Letzten (eschaton) treffen am Ende der menschlichen Pilgerschaft.
-Religionen sind nebeneinander verlaufende Wege. Man braucht sich nicht zu stören und bekehren (es bestehen keine apologetischen und missionarischen Absichten).
-Die ganze Aufmerksamkeit wird dahingehend verwendet, die eigene Tradition einfach zu vertiefen.
-Da besteht echte Toleranz – man verurteilt die anderen religiösen Ansätze nicht und spricht ihnen nicht nur Einführungscharakter zu..
-Man zieht klare Grenzen.
-Das Ergänzungspotential, das in der fruchtbaren Begegnung mit anderen bestünde, wird nicht genutzt.
-Es widerspricht der historischen Erfahrung: Religionen entstanden aus gegenseitiger Beeinflussung, Überlagerung und Befruchtung. (Und oft noch aus einer anderen heraus: Bsp Buddhismus aus der vedischen Tradition, Christentum aus dem Judentum und dem griechischen Denken).
-Kann man Annehmen, dass alle Traditionen die Samenkörner für Wachstum und Reifen bereits in sich tragen? Ist die eigene Überlieferung selbstgenügsam? Besteht keine Notwendigkeit des Vorteils gegenseitigen Lernens? Existiert kein Bedürfnis, ausserhalb der Umzäunung des eigenen Weges Neues zu wagen?
-Ist die Gesamtheit der spirituellen Wirklichkeit in jeder Tradition vorhanden?
-Kann man die Menschheitsfamilie einteilen in wasserdichte, geschlossene Abteilungen?
4 Gegenseitige Durchdringung (Integraler Pluralismus)
-Während der Exklusivismus nur die eigene Religion für heilsvermittelnd hält und der Inklusivismus zwar eine gewisse Heilsvermittlung anderer Religionen anerkennt, die eigene Religion jedoch als überlegen betrachtet, sieht der Pluralismus zumindest einige Glaubenspfade als gleichwertige Heilswege an. Das heißt jedoch nicht, dass alle Religionen oder religiöse Lehren, Praktiken, etc. letztlich gleich wären und auch nicht, dass alle Religionen theologisch gleichwertig sind. Somit ist es möglich, dass für einen bestimmten Menschen eine gegebene Religion tatsächlich einen Heilsweg eröffnet, eine andere gegebene Religion aber nicht. Ebenso können sich manche Religionen oder Kulte auch als destruktiv und nicht heilsvermittelnd erweisen. Religiöser Pluralismus ist also nicht mit Relativismus gleichzusetzen.
-Der andere lebt seinen Glauben nicht unabhängig von uns und wir nicht unabhängig von ihm. Es besteht Interdependenz und auch eine Mitbetroffenheit.
-Die Religion des anderen stellt die meine in Frage – und bereichert sie.
-Es bestehen durchaus auch Unterschiede, die trennen. Da ist der interessante Punkt der Integration.
-Es gibt ein Ergänzungspotential in den Traditionen. Man wird offen dafür. Die Begegnung ist nicht bedrohlich. Die Geschwister in einer anderen Tradition können offene Fragen klären und mich zur vertieften Reflexion anregen.
-Man findet Ansätze, die in der eigenen (meist kulturell begrenzten Tradition) nicht existierten oder zumindest noch nicht so reif ausformuliert wurden.
-Die Gesamtheit der religiösen Ansätze muss nicht in ein Bild hineindivergieren (Synkretismus), sondern existiert wie ein bunter Blumenstrauss, der die Vielfalt und auch Unverständlichkeit Gottes bezeugen. Man anerkennt, dass Gott immer auch wieder ganz anders ist, als er verstanden werden kann. Er ist all das und noch viel mehr.
-In der gegenseitigen Durchdringung geht das Spezifische des eigenen spirituellen Ansatzes nicht verloren.
-Es basiert auf der dringlichen Erkenntnis, einander zu brauchen. Auf diese Weise rückt man die unvermeidliche Einseitigkeit zurecht.
-Die übermenschliche Perspektive ist dem Menschen verborgen.
Dieser Ansatz will nicht immer direkte Interpretation vermitteln, was nun genau Gottes Plan und Absicht sei.
-Die ganze Komplexität Gottes wird anerkannt. Es kommt im religiösen Alltag, in der Theopraxis auf die Grundmotivation an (und die ist unabhängig von konfessionellem Credo, unabhängig von Ritualen und unabhängig von visuellen Unterschieden).