religio perennis - ewige Religion
Religionen sind Wege, religiös zu sein, die Erfahrung des Numinosen zu vermitteln. Man denkt an die zugrundeliegende Religiosität, wenn man von Religion (im Gegensatz zu "Religionen") spricht. Man bräuchte ein Verb, um auszudrücken, worum es in der Religion geht (man kann nicht sagen, jemand "religione". "Beten", "Sich-Versenken" ist das, was verhindert, dass religiöse Erfahrung in blossen religiösen Strukturen vertrocknet, denn die Erfahrung ist der Ausgangspunkt der Religion.
Intellekt, Wille und Emotion beleuchten die Erfahrung.
Der Intellekt interpretiert die Erfahrung, und das führt zur religiösen Lehre. Der Wille erkennt die Implikationen und Folgen an, was ethisches Verhalten begründet. Die Emotionen feiern die Erfahrung durch das Ritual.
Religion ist nicht automatisch religiös. Jene drei Bereiche der Religion neigen immer dazu, zu Dogmatismus, Legalismus (striktes Befolgen der Gesetze) und Ritualismus zu schrumpfen, wenn sie nicht immer wieder von persönlicher Erfahrung belebt werden. Dieser Prozess ist das Gebet, das die Religion religiös macht.
Wahrheit ist es, wonach sich unser Herz sehnt, aber was wir ausdrücken können, sind lediglich begrenzte wie auch subjektive Wahrheiten. Wahrheit (im Sanskrit: sanatan dharma) ist eins, aber ihre unzähligen Aspekte lassen sich in scheinbar widersprüchlichen Wahrheiten, in Religionen, ausdrücken. Es sind ihre Begrenzungen, die sie widersprüchlich werden lassen. Wir können von der Wahrheit bloss begrenzte Wahrheiten erfassen. Doch dieses Erfassen ist nicht die einzige Haltung, die wir zur Wahrheit einnehmen können. Anstatt sie zu erfassen, kann man sich von der Wahrheit ergreifen lassen. Es ist eine Sache, einen Eimer Wasser aus dem Ozean zu schöpfen. Eine ganz andere Sache ist es, im Ozean zu schwimmen. Die Wahrheiten, die wir erfassen können, sind notwendigerweise begrenzte Wahrheiten, denn unser Erfassungsvermögen ist begrenzt. Die Wahrheit, der man sich hingibt (Bhagavad gita 18.55) ist grenzenlos und eins. Wahrheiten neigen dazu, uns zu trennen, aber die Wahrheit, die uns trägt, einigt.
Die Sehnsucht nach Lebenssinn und Ganzheit und das zunehmende Bedürfnis nach einer universell-mystischen Überschreitung der Ich-Grenzen verlangen nach einer transkonfessionellen Spiritualität.
C.G. Jung schreibt:
„Jeder krankt in letzter Linie daran, dass er das verloren hat, was lebendige Religionen ihren Gläubigen zu allen Zeiten vermittelt haben, und keiner ist wirklich geheilt, der seine religiöse Einstellung nicht wieder erreicht, was mit Konfession oder Zugehörigkeit zu einer Kirche natürlich nichts zu tun hat.“
Religionsstifter waren Weise, die aus der Tiefe ihrer Seinserfahrung schöpften. Was sie erfahren haben übersetzten sie in die Sprache ihrer Mitmenschen, ihrer Kultur, ihrer Bilderwelt und religiösen Vorstellungen. Die Verbalisierung der Erfahrung war nie die Erfahrung selber.
"Wem das Herz voll ist, dem läuft der Mund über." Eine verwirklichte Seele möchte das innere Erleben teilen. Ihm stehen dabei aber nur die Ausdrucksmittel der Sprache und der Symbolik einer begrenzten Welt zu Verfügung. Aber durch Gnade wird sie versuchen, das, was ihr widerfahren ist, in Worten zu artikulieren, in Liedern zu besingen und der Erfahrung in Gesten und zeremoniellen Handlungen Gestalt geben.
Meister Eckehart drückte dies vor fast 800 Jahren wie folgt aus:
"Ihr sollt wissen, dass alles, was man in Worte fasst und den Leuten in Bildern zeigt, nur eine Lockung ist zu Gott. Und dass wir Gott oft nicht finden, liegt daran, dass wir in Bildern und Gleichnissen stehen bleiben, da wir doch den suchen, der nicht Gleichnisse hat. Auch was die Schrift bieten kann, sind Gleichnisse, Gott mehr ungleich als ihm gleich. Versinkt aber die Seele in die Ihn, so verliert sie alles äussere Bild."
Wer Musik zu erklären versucht, endet im Sprachgewirr. Wer versucht, mystische Erfahrungen zu erklären, endet in der Verständnislosigkeit. Musik, die erklärt wird, ist nicht mehr Musik, Mystik, von der geredet wird, ist nicht mehr die Erfahrung.
Wer hinter allen Dogmen und Bräuchen der Religionen die Symphonie Gottes hört, der hat Sinn und Ziel der Religionen verstanden. Deswegen ist es so wichtig, dass die Religionen ihre Begriffe, Symbole und Bilder durchsichtig halten - damit sie das, was sie offenbaren können, nicht verbergen.
Es gibt eine Geschichte von einem König, der die Sonnenuhr erfand. Nach seinem Tod bauten die Menschen einen Tempel darüber. Vielleicht haben wir zu viele Strukturen gebaut und den Sinn des Wesentlichen verbaut, den Raum zur Erfahrung zugemauert?
Religion ist zu vergleichen mit dem Mond, der die Erde beleuchtet, aber seine Kraft von der Sonne bekommt. Er hat aus sich keine Kraft. Sein Leuchten ist nur der Widerschein der Sonne. Wenn der Mond sich zwischen die Sonne und Erde schiebt, gibt es eine Sonnenfinsternis, und es wird dunkel auf der Erde.
Sri Krishna ist mit der Sonne zu vergleichen. Er strahlt die Religionen in diese Welt hinein, damit sie dem Menschen leuchten und ihn im Dunkel seines Suchens begleiten. Wenn die Religion sich aber zu wichtig nimmt und sich zwischen Gott und Mensch schiebt, verdunkelt sie Gott. Dann gibt es eine Gottesfinsternis.
Die konfessionelle Theologie denkt oft nur systemintern. Das macht sie so langweilig.
Sanatan dharma ist der Pfad, der jenseits der konfessionsgebundenen Terminologie verläuft.
Eine Religion muss sich dessen bewusst sein, dass sie aus der Erfahrung ihrer Stifter kommt und dass es ihre wichtigste Aufgabe ist, Wege zu lehren, die in diese Urerfahrung zurückführen. Und das mag über die Konfession hinausführen, ohne diese zu verneinen.