Ringen um Worte

 

Rumi sagt, Worte seien nur Staub, den der Besen „Zunge“ hervorbringt auf der Grundlage der Erfahrung.

Alle Heiligen haben unter diesem Staub der Worte zu leiden gehabt. Sie können in Bildern umschreiben, hinweisen, aber nie tel quel benennen, was mit ihnen geschah und wie sie Gott wahrnehmen. In der Sprache der Menschen wohnt eine gewisse Hilflosigkeit, das Ewige allgemein verständlich auszudrücken.

Wie kann man sich über etwas, das nicht die uns umgebende objektive Realität darstellt, verständigen? Kann man einem Wesen ohne Geruchssinn den Duft einer Rose verständlich machen? Einem Nichtverliebten den Zustand des Verliebtseins vermitteln? Einem Nüchternen die Gott-Trunkenheit? Unsere Sprache erfährt da eine Hilflosigkeit. Wir können das, nachdem wir uns am meisten sehnen, nicht so einfach kommunikativ miteinander teilen.

Es geht um das Problem der unzureichenden Sprache, die Unausdrückbarkeit, die Unsagbarkeit wenn es um das Thema Gott geht.

Für einen Fundamentalisten ist es klar: „es steht doch genau so geschrieben und man muss es nur noch schlucken“. Unsere Welt ist allerdings Beweis genug dafür, dass unreflektierte, nicht durchdachte und aufgeschlüsselte Spiritualität viele aufrichtige Menschen in die Gottesferne getrieben hat.

 

Angelus Silesius (1624-1677) schreibt:

„Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.“

Die Sprache ist zu eng, zu verstaubt, zu nichts sagend, zu irreführend, um den mystischen Zustand auszudrücken.

Alle Worte sind besetzt mit einer innerweltlichen Erfahrung. Jedes Wort ist in uns mit einem Bild besetzt. Genau das macht die Worte, die das Heilige umschreiben, zum Götzen, zum selbst gemachten Bild.

Es braucht das Misstrauen gegenüber der Sprache. Sie ist eine Konvention, eine Abmachung innerhalb dieser Welt, der wir alle einfach zugestimmt haben, um die benennbare Welt zu benennen.

Peter Bichsel schreibt in einer Geschichte, wie jemand sich dieser Konvention entzog und eigene Benennungen machte. „Ich nenne ab heute einen Stuhl Bett, Tisch nenne ich Decke, Essen nenne Fahren, Käse nenne ich Kaulquappen, etc.
Er setzt sich auf das Bett an der Decke um Kaulquappen zu fahren.“ Die Sprache hat etwas Willkürliches… und eignet sich deshalb nicht für das Unveränderbare.

 

Raghunnatha das Goswami spricht im „Vilapa Kusumanjali“ von „mukha asvadan-vat“, dass er sich wie ein Stummer fühle, der etwas Wunderbares erlebt hat, aber nicht fähig ist, die gesamte Erfahrung zu vermitteln. Er erlebt seinen Austausch im ewigen spirituellen Körper mit Srimati Radhika in der ewigen Welt, kann aber nur Bruchstücke davon in diese Welt hineintransportieren und diese dann auch nur in Bengali, einer Sprache, in der die Menschen seines Umfeldes jedes einzelne Wort mit einem Bild ihrer eigenen Erfahrung besetzt hatten.

Eine franziskanische Mystikerin in Italien, Angela von Foligno (1248-1309), nennt ihre eigenen höchst präzisen Schilderungen dessen, was sie im Austausch mit Gott erlebt hat, Blasphemien.

Ein klassisches Zeugnis der abendländischen mystischen Tradition für die Limitiertheit der Sprache ist das Traktat „Wolke des Nichtwissens“. Ein unbekannter englischer Priester aus dem 14 Jahrhundert, vielleicht ein Kartäusermönch, hat diese Erfahrung niedergeschrieben.

„Wenn ich von Dunkel spreche, so meine ich ein Dunkel des bewussten Erkennens, das zwischen dir und einem Gott liegt.“ (4. Kapitel)

Kurz vor seinem Tod hatte Thomas von Aquin, dem grössten Denker und theologischem Konzeptdenker des Mittelalters, während einer Messe ein mystisches Erlebnis, das ihm die Sprache verschlug. „Mir ist solches geoffenbart worden, dass das, was ich mein Leben lang geschrieben und gelehrt habe, als belanglos erscheint.“

 

Die Rede wird flach, geistlos, banal, wenn sie glaubt, alles zur Verfügung zu haben, alles genau erklären und umschreiben zu vermögen. Das kann vielleicht die technische Beschreibung, aber nicht die die Faszination der Liebe. An der Grenze und nicht im Inland, wächst die Sprache. Bei Gott sind alle Worte nur noch ein Stammeln, Hinweis, den derjenige versteht, der die gleiche Erfahrung geschenkt bekam oder zumindest in die gleiche Richtung schaut.

Das Thema Gottes ist das, was uns unbedingt angeht (Paul Tillich), es ist das mystische Apriori, der heilige Imperativ. Die Bemühung, Gott zu verstehen, ist durch die Erkenntnis der Limitation der Sprache nicht lahm gelegt oder verunmöglicht, sondern wird nur differenzierter.

 

Jede Aussage über Gott wirkt limitierend und würde ihn schmälern. Deshalb bediente sich die mystische Sprache der via negativa, der Negation von allem, um wenigstens darauf hinzuweisen, dass die Erfahrung Gottes von grundlegend anderer Wesensart ist. Für sie ist die Verneinung (griechisch apophaseis) wahr und die Bejahung (kataphaseis) unzureichend. Apophatische und kathaphatische Tradition – das Wahre und das Unzureichende, ergänzen sich in Wirklichkeit und bleiben aufeinander angewiesen. So gelangt man über die bisherige Besetzung des Wortes hinaus – zu dem hin, was das Wort letztlich ausdrücken möchte.

Um den Worten ihre Ladung zu entnehmen, die sie durch die eigenen Erfahrungen automatisch bekommen haben, braucht es das Zulassen der Ungewissheit. Das Vedanta Sutra spricht von avacaniyata, der Unfähigkeit der Worte, die Wahrheit zu erfassen. Das muss wirklich angenommen werden.

 

 

 

Zulassen der Ungewissheit

 

Im Alltagbewusstsein in der Umgangswelt denken wir, dass wir manchmal etwas missverstehen, dass wir aber doch das meiste erkennen und verstehen.

Sat-Sang, Gemeinschaft mit Heiligen, lässt uns das Gegenteil diagnostizieren: auch wenn man im spirituellen Leben meint, etwas verstanden zu haben, ist es mit grosser Wahrscheinlichkeit einfach ein erneutes Verkennen.

Diese Missdeutung und Verfälschung geschieht aufgrund des riesigen Schattens, den wir mit uns tragen, ein Schatten von vergangenen Eindrücken. Ohne dieses Handicap wäre jegliches spirituelles Bemühen eine Einfachheit.

Dieser dicke Filter unserer eigenen selbst verursachten Vergangenheit kreiert auch im Heiligsten wieder Dunkelheit.

Alles Verstehen, jede Verwirklichung wird dadurch verzerrt und es untersteht nicht einmal der eigenen Kontrolle, es nicht zu verzerren.

Aber was man tun kann, ist, dies einzugestehen, dieses Phänomen anzuerkennen, die Achtsamkeit vergrössern, wodurch der verzerrende Teil des Unterbewusstseins verkleinert wird.

Erst im Licht des Gewahrwerdens, in konstanter Aufmerksamkeit löst sich der Schatten der eigenen Eindrücke in jedem Wort allmählich auf, der ja genau aus der Unaufmerksamkeit besteht.

Erst in der vollkommenen Bewusstheit und Wachheit wird dann das Missverständnis ausgeschlossen. Der Erwachte erst versteht wirklich. Und bis dahin ist die Erkenntnisfähigkeit gefärbt und getrübt, das Wissen auch immer noch teilweise Täuschung. In der Annahme und der Akzeptanz dessen wird das Ego geringer, da es sich einzugestehen hat, dass all sein Verstehen sehr relativiert wird von einem gleichzeitigen Missverstehen. All das, auf das sich das Ego behaupten möchte, ist gar nicht so gesichert. Das Ego verliert seine Sicherheit, wenn es sich eingestehen muss, dass all seine Annahmen Eventualitäten sind. Es wird durchlässiger. Auf jeden Fall wird man einfacher und unschuldiger und in der Unschuld wird die Meditation erst möglich.

 

Wenn die Widerstände gegen die Ungewissheit meiner Wahrnehmung und meines Verstehens sich auflösen, wird man offener und sensibler für die Möglichkeiten, die sich ausserhalb meines gegenwärtigen Verständnisses befinden. Man wird weniger bestimmt, und festgesetzt, denn der Wissensstand ist noch nicht definitiv. Die arrogante Sicherheit löst sich auf, die gerade im Religiösen den eigenen Zugang zur Wirklichkeit blockiert.

 

Wenn jemand verliebt ist in eine andere Person, fällt es enorm schwer zu sagen: „Es besteht die Möglichkeit, dass ich dich liebe. Ich liebe dich vielleicht“ Aber es entspricht der Wahrheit, denn im momentanen Zustand kann nicht mehr gesagt werden. Denn wie oft dreht sich diese so genannte Zuneigung in ganz kurzer Zeit in Hass um.... Wieso der dünnen Spitze des Eisbergs unseres Oberflächenbewusstseins gerade ganz vertrauen? Im nächsten Moment kann die Entscheidung wieder ganz anders aussehen, da im riesigen Bereich des Schattens noch ganz andere Informationen verborgen liegen, die das Handeln dann gezwungenermassen prägen werden.

 

Ein grosser buddhistischer Heiliger, Mahavira, benützte auch als erleuchtete Seele das Wort “vielleicht” “wahrscheinlich” in jeder Antwort, die er den Fragenden gab, was natürlich jede Aussage relativierte.

Aus diesem Grund hatte er nicht viele Schüler, denn die bedingte Seele möchte Gewissheit, auch wenn es in ihrem Zustand gar nicht möglich ist. So lässt der Wunsch nach Sicherheit alles Gehörte zu einem Konzept versteifen, was die Erfahrbarkeit, die Verwirklichung des Verständnisses natürlich verunmöglicht.

Die Menschen sind schon in einer unsicheren Existenz, in einem ungewissen Leben. Und aus dem heraus will man ein klares und absolutes Glaubenssystem.

Deshalb spricht Krishna in der Bhagavad Gita davon, dass man für die Begegnung mit der ewigen Wahrheit (sanatan dharma) alle Hoffnung aufgeben und alle Schein-Sicherheiten hinter sich lassen muss (sarva dharman parityaja).

 

Mahavira vermittelte keine Konzepte (das ist ein wichtiger Ansatz im Buddhismus geblieben). Als ihn jemand nach Gott gefragt hat, antwortete er: „Vielleicht“. Aber wenn man ein Gott verehren möchte, der ein „Vielleicht“ ist, dann würde auch das Gebet zu ihm zu einem „Vielleicht“ werden und das gesamte Glaubenssystem, seine Religion wäre eine Idee der Relativität. Aber in den konfessionellen organisierten Religionen sind „vielleicht“ und „aber“ gebannt.

 

In aller Verwirrtheit und Konfusion des Alltags will der unernsthafte Gottsucher nun einfach Gewissheit und Sicherheit. Er will sich nicht der ewigen Suche nach Gott ausliefern, die ihn zunächst einmal noch in viel existentiellere Unklarheit hineinbringt, in der dann alle bisherigen akzeptierten Grundlagen auch noch zerfallen.

 

Und so mag der Ursprung des Glaubens noch so heilig und transzendental sein, aber er sucht ja nur ein kleinliches Festhalten, ein verbürgerlichtes Glaubenwollen, das ihm Sicherheit und Schutz, Gewissheit und Sorglosigkeit, letztlich eine Rechtfertigung für seine Anhaftungen im Leben vermittelt - ein gerettetes Leben als eine Bürgschaft für ein gutes Gefühl.

Er will nur ein Gott, der ihn, seine Familie und sein Weinkeller beschützt, und zu dem er beten kann, wenn er gerade nicht mehr weiter weiss und wenn es ihm gerade schlecht ergeht – und will sich nicht von ihm erschüttern und entwurzeln lassen.

Hätte er den Gott nicht, würde er sich einfach verloren und einsam fühlen. Und dafür soll Gott nun sein magisches Pflaster werden.

Echte Heilige geben nicht oberflächlichen Trost und illusionären Mut, sondern zerstören ihn. Sie vermitteln nicht Behaglichkeit und Wohlergehen, sondern eine radikale Kehrtwende, in der man sich selber verliert. Srila Sridhar Maharaja sprach immer wieder davon, „zu sterben, um zu leben“. Wir haben Angst davor.

 

Wenn wir dieser Angst nicht begegnen, wird die ganze Spiritualität ein Ausweichen vor der Wirklichkeit, ein Einnisten in einer erneuten Illusion – die nun aber noch viel schwieriger zu durchschauen ist, da man ihr einen heiligen Deckmantel umlegte.

Die echte Spiritualität setzt sich bereitwillig dem Vakuum der Ungewissheit aus, und darin wird man zu einem wahren Sucher.

Man ist bereit, selbst alle bisherige Erkenntnis in Frage zu stellen, sämtliche angewöhnte Denkvorgänge kollabieren zu lassen. Und es bereitwillig einstürzen lassen. Man will nicht Scheinsicherheit, sondern Wahrheit, und für die müssen alle Hoffnungen und Erwartungen und Ansprüche hinfällig werden.

Es braucht eine Bereitschaft für die Totalität, sonst wird man weiterhin einfach nur kleine Einsichten haben.

Dann ist man bereit für Offenbarung.

 

Offenbarung

 

Ludwig Wittgenstein sprach davon, dass die Sprache aus dieser Welt ist und es ihr dadurch verunmöglicht ist, Transzendenz zu beschreiben. Sie sei ein ganz anderes Werkzeug.

Seinen Einwand muss ernst genommen werden. Vom Standpunkt der Offenbarung hat aber alles in dieser Welt göttlichen Ursprung und somit auch göttlichen Sinn.

So existiert Sprache nicht nur dazu, um Informationen mitzuteilen, sondern vorrangig als Erwiderung für die Offenbarung (response-ability). Die Sprache hat göttlichen Ursprung und ist ursprünglich dazu gedacht, Gott zu verherrlichen (Srimad Bhagavatam 6.16.32). Aus diesem Grund spricht das Vedanta Sutra davon, dass eigentlich jedes einzelne Wort nicht praktisch gedacht ist, also nicht um Dinge in der Welt zu erwirken.

Jedes Wort ist Verehrung und bezeichnet Gott. Deshalb ist es heilig. Am Anfang war das Wort.

„Der Unvollkommene wäre nicht unvollkommen, wenn er nicht Hilfe von aussen bedürfte. Der Vollkommene wäre nicht vollkommen, wenn er nicht in der Lage wäre, sich selber mitzuteilen. Somit ist die Unterweisung, die zur Vollkommenheit oder der Absoluten Wahrheit führt, notwendigerweise eine Wirkung des Absoluten selber. Wir sind in unserer Wesensart gemäss ausgerüstet, die Gnade Gottes zu empfangen.“

Srila Sridhara Maharaja „Guru and his grace“ (Einleitung)

 

Heilige Texte gelten in allen spirituellen Traditionen als Offenbarung. Die Einwirkung Gottes darf aber nicht in die alte Gewohnheitsstruktur des Geistes integriert werden. Damit reduzierte sie sich auf leeres Konzeptwissen. Sie wird lebendig und aktiviert in der Reflektion im Innern, im Gebet und der Kontemplation und in der Gegenwart der Heiligen, die diese Hinweise in ihrer Lebensart verkörpern.

Die Verliebten verstehen den kleinsten Hinweis ihres Geliebten. So dringt heilige Offenbarung Gottes hindurch durch die Wirrnis der von unseren vergangenen Eindrücken besetzten Worten.

„Während dein Inneres vor Liebe zu brennen scheint, lässt er dich etwas von dem unaussprechlichen Geheimnis seiner göttlichen Existenz ahnen. („Wolke des Nichtwissens“ Kapitel 26)

Wenn sich das Unbegrenzte im Begrenzten offenbart, behält es die Eigenschaft der Unbegrenztheit bei.

prati sloka prati akshare nana artha kaya (Caitanya Caritamrta 24.318) «Jeder Vers und jede einzelne Silbe aus der Offenbarungsschrift hat unzählbar viele Bedeutungen ».

 

Fundamentalismus wäre da offensichtlich zu eingleisig. Die Offenbarung im Wort (die heilige Schrift) verlangt die Weitung des eigenen Verständnisses, um sensibel zu werden für das, was Krishna da einem wirklich offenbaren möchte.

 

 

Die Geschichte des barmherzigen Samariters aus Lukas 10 beleuchtet auf schöne Weise, dass die heilige Offenbarung aufgeschlüsselt werden muss und man nicht einfach denken kann, sie im Besitz zu haben.

Der Priester und der Levit, die an dem von Räubern schwer Verwundeten vorbeigehen, sind fromme, gottesfürchtige Leute. Sie „kennen“ Gott und sein Gesetz. Sie haben Gott, wie der Wissende das Gewusste besitzt. Sie wissen, was Gott von ihnen will im Sein und im Handeln. Sie wissen auch, wo Gott zu finden ist – in der Heiligen Schrift und im Kult des Tempels. Gott ist für sie vermittelt durch die vorgegebenen Institutionen. Sie haben ihren Gott – und er lässt sich nicht auf der Strasse zwischen Jerusalem und Jericho finden. Was ist falsch an dieser Gotteserkenntnis? Nicht die Rituale im Tempel und auch nicht die Heilige Schrift. Sondern die Erkenntnis Gottes, die keine Nicht-Erkenntnis zulässt. Sie sind festgefahren in einem bestimmten Verständnis. Das heilige muss sich immer weiter ausdehnen und in ihm gibt es nie Stagnation. Das ist die wesensgemässe Reaktion auf das Unbegrenzte.

Dann kann durch die Worte hindurch Wirklichkeit durchscheinen.